Hunde-Erziehung ohne Leckerchen
Sehr häufig höre ich diesen Satz: „Für Futter tut meiner alles.“
Es geht auch anders.
Oft werde ich gefragt: Hunde-Erziehung ohne Leckerchen, geht das?. Ich sage ja, das geht. Hundeerziehung ohne Lekerchen ist nachhaltig, denn sie findet ohne Konsum statt. Immer wieder wird in der Hundeerziehung von positiver Bestätigung gesprochen. Grundsätzlich ist nach heutigem Stand der Forschung das Erlernen eines Verhaltens, welches mit einem positiven Erleben verknüpft wird, die effektivste Lern-Methodik. Leider wird in den letzen Jahren diese positive Verknüpfung fast ausschließlich auf eine Futterbelohnung beschränkt. Unter den vielen Einrichtungen, die sich mit der Erziehung von Hunden beschäftigen, herrscht jedoch diesbezüglich keine einheitliche Meinung. Als Hundehalter zu entscheiden, welche Methode denn nun die richtige sei, ist fast unmöglich und so sucht sich der Hundehalter jene Methode, die ihm am erfolgsversprechensten erscheint.
Mittlerweile arbeite ich ausschließlich ohne Futterbelohnung. Worin der Unterschied in der Hundeerziehung zwischen mit oder ohne Leckerchen besteht, erkläre ich hier an einem Beispiel.
Der Unterschied ist, dass Hunde-Erziehung ohne Leckerchen die Basis einer vertrauensvollen Bindung ist, die auf gegenseitigem Verständnis beruht.
Würde ich meinen Hund mit Futter belohnen, z. B. wenn ich ihn zu mir rufe, so ist dieser, wenn er zu mir gelaufen kommt, in Futter-Erwartung. Als erstes schaut er in Richtung Tasche, um zu checken, was es gibt. Ist die Belohnung wertvoll, wird er sehr wahrscheinlich seine Umwelt ausblenden und sich voll auf das zu erwartende Ereignis konzentrieren. Er bekäme dann, trotz seiner auffordernden Haltung, seine Belohnung und darf sich sodann wieder entfernen.
Wichtig für meinen Hund ist hier die Qualität der Belohnung. Im Grunde muss ich als Hundehalter nicht viel mehr tun, als durch andauernde Futtergabe meinen Hund davon überzeugen, dass er für ein erwartetes Verhalten, sich etwas Leckeres abholen kann. Jedoch ist es so, dass er eine Leistung erbringen muss, bevor er die Belohnung erhält. Mein Hund erbringt die Leistung jedoch nur, wenn es sich für ihn lohnt, die Qualität der Belohnung hoch genug ist. Befindet sich für meinen Hund eine noch reizvollerer Quelle als Alternative, wie z.B. ein anderer Artgenosse, so wird sich mein Hund dieser nähern und nicht meinem Lockruf Folge leisten. Das Ergebnis ist, dass mein Hund nicht nur die Qualität sondern auch die Anzahl der Belohnungen bestimmt. Für meinen Hund bedeutet dies, dass ich als Halter meinem Hund hörig bin, da er mir indirekt das Belohnungssystem diktiert.
Hunde-Erziehung ohne Leckerchen ist wichtig für eine innige Bindung!
Bei der Futterbelohnung ist der Focus allein auf das Futter gerichtet. Hiernach findet keinerlei Gemeinsamkeit, oder auch Interaktion genannt, zwischen mir und meinem Hund statt. Diese Gemeinsamkeit ist jedoch Voraussetzung, damit mein Hund erlernen kann, dass ich die Regeln festlege und auf derer Einhaltung konsequent achte. Das Vertrauen in meinen Hund fehlt, da ich weiß, dass mein Hund nicht zu mir, sondern zu meinem Leckerchen kommt. Auch der Hund hat kein Vertrauen in meine Person, da er mittels Futtergabe manipuliert wird. Wenn ein ranghoher Hund mittels Futter, oder auch mit anderen Ressourcen, um seine Rang-Stellung agiert, dann so:
Demonstrativ ausgelegtes Futter (oder eine andere Ressource) ist ein Tabu für rangniedrigere Hunde. Dabei wird der ranghohe Hund seine Beute im Blickfeld behalten und es konstant als sein Eigentum beanspruchen. Souveränität wird unter Hunden eben nicht durch ständige Ressourcenverteilung sondern durch Ressourcenbesitz bestimmt. Bei der Futterbelohnung verteilt der Hundebesitzer nicht nur wichtige Ressourcen, man reicht seinem Hund die menschliche „Pfote“. Pföteln ist in der Hundesprache eine unterwürfige Geste.
So gibt es viele Beispiele in der Ausbildung/Erziehung, die zu massiven Missverständnissen führen.
Beispiel: Ich verlange ein „Platz“, der Hund legt sich nieder und bekommt daraufhin einen Futterbrocken. Aber, was erlebt der Hund? Die Platzübung hat für den Hund zum Ziel sich vor mir kleinzumachen. Die Übung „Platz“ ist also eine dominante Übung. Der Hund würde nun über Futter bestätigt. Mit der Futter(Ressourcen)verteilung und der zusätzlichen pfötelnden Bewegung des Futter reichen, verhalte ich mich als Mensch unterwürfig. Wie soll mich mein Hund da noch ernst nehmen, wenn ich mich selbst unterwürfig verhalte, aber eine dominante Verhaltensweise verlange. So ist es logisch, dass in Konfliktsituationen, z.B. bei Hundebegegnungen, sich der Hund nur schwer in ein „Platz“ begeben wird.
Hunde-Erziehung ohne Leckerchen ist Art-gerechte-Erziehung. Hunde sind soziale Lebewesen, sie brauchen keine Lockmittel.
Rufe ich meinen Hund und dieser kommt schnellstens zu mir gelaufen, schaut mir ins Gesicht, wedelt dabei freudig mit dem Schwanz, stupst mich mit seiner feuchten Nase und fragt mit seinen Augen – Was können wir gemeinsam tun? – ist das für mich, und wohl auch für alle anderen Hundehalter, das Schönste, was es in der Hundehaltung gibt. Denn dies ist nicht nur eine einstudierte Zirkus-Attraktion. Nein, mein Hund kommt erwartungsvoll zu mir und erhofft eine routinierte Aufgabe zu erfüllen, ein gemeinsames spannendes Spiel mit mir, seine Neugier zu stillen oder einfach nur freundlich empfangen zu werden. Diese sehr emotionale Kommunikation zwischen zwei artfremden Lebewesen ist die Faszination, die die Mensch-Hund-Beziehung ausmacht. Vertrauen spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn nur der Hund, der auf die Aktionen seines Halters vertrauend reagiert, handelt im gemeinschaftlichen Sinn.
Bei der Hunde-Erziehung ohne Leckerchen geht es (auch) um Vertrauen!
Vertrauen steht hier für nutzbringend in Form von erwarteter Bedürfnisbefriedigung, wie Sozialkontakt oder das Ausleben arteigenem Verhalten. Mein Hund kommt auf mein Rufen, weil er weiß, dass seine Fähigkeiten und somit auch seine Persönlichkeit gefragt sind. Diese Tatsache gibt meinem Hund das Gefühl, wichtig zu sein, und das schafft ein positives Selbstwertgefühl. Ich als Hundehalter erlebe, dass ich mich auf meinen Hund verlassen kann. Es entsteht eine intensive soziale Bindung, die sich nachhaltig auf die gesamte Mensch-Hund-Beziehung auswirkt und das Lernen auf beiden Seiten positiv beeinflusst.
Futterbelohnung verhindert an dieser Stelle die Kommunikation und Interaktion zwischen Mensch und Hund, weil der Focus des Hundes einzig auf den Inhalt der Tasche (Futter in der Hand) gerichtet ist. Hier kann der Hundehalter, beim Heranrufen seines Hundes, es seinem Hund nicht verständlich machen, dass sein Geschick bzw. Fähigkeiten und vor allem seine Persönlichkeit gefragt sind. Eine positive und emotionale Beeinflussung der Bindungsmöglichkeit geht verloren, die nur mit viel Mühe und Zeit wieder aufzuarbeiten ist.
Aus kynologischer Sicht
Aus kynologischer Sicht steht fest, dass ein souveränes ranghohes Tier, für die schlichte Regeleinhaltung, seine Rudel-Mitglieder nicht mit Futter belohnt. Dies wäre vergleichbar, wenn Kinder für alltägliche Pflichten, wie z.B. das Erledigen der Hausaufgaben, mit Süßigkeiten belohnt würden.
Das Bilden von Gemeinschaften und Gruppen, wozu auch die Rudelbildung unserer Hunde gehört, haben gegenüber einzeln lebenden Individuen einen entscheidenden Vorteil. Alle Gruppenmitglieder beteiligen sich an der Ressourcensicherung, wie das Bewachen des Territoriums oder der gemeinsame Nahrungserwerb, was für jedes einzelne Mitglied durch Effizienz und Energieeinsparung eine verbesserte Überlebenschance ermöglicht. Damit die eingesparte Energie nicht in Auseinandersetzungen wieder verpulvert wird, bestehen in einer Gruppe Regeln und Strukturen, die das reibungslose Miteinander ermöglichen. Bei unseren Hunden, und auch bei vielen anderen in Gruppen lebenden Tieren, beinhaltet diese Struktur ein hierarisches System, wobei einzelne Mitglieder eine mehr oder weniger intensive Bindung eingehen. Die Fähigkeit zu kommunizieren und zu interagieren ist die Vorrausetzung damit diese Regeln und Strukturen eingehalten werden können und bildet für jedes Mitglied einer Gruppe ein Grundbedürfnis.
Damit dieses Bindungsgefüge auch zwischen Mensch und Hund entstehen kann und dauerhaft funktioniert ist es erforderlich, dass jede Spezies (Mensch/Hund) die Sprache des anderen verstehen lernt und nicht aneinander vorbei „geredet“ wird. Für dieses Verständnis ist statt Futterbelohnung vielmehr ein positiv geprägtes Miteinander, wie Verlässlichkeit, Sicherheit, Freude und Urvertrauen notwendig.
Aus der Hundeforschung – LOB ODER LECKERLI?
Eine Studie an über 100 indischen Strassenhunden (Debottam Bhattacharjee et. al., 2017, Kalkutta) hatte zum Ergebnis, dass Vertrauen einzig durch soziale Reaktionen, wie Zureden und Streicheln, herzustellen ist.
Kate Kitchenham beschreibt das Ergebnis dieser Studie in ihrem neuen Buch „Hunde-Forschung aktuell“ (2019) mit den Worten:
Zitat „…Nur die Hunde, die mit sozialer Reaktion für den Kontakt bestätigt wurden, waren in der Lage, mit der Zeit eine auf Vertrauen basierte Zuneigung zu etablieren, die mit Futter auf diese Weise nicht herzustellen war…“
Aber auch weitere Studien haben gezeigt, dass Hunde lieber soziale Aktionen als ein Stück Wurst bevorzugen. So z.B. auch beim Clicker-Training. Im Vergleich zur „Do as I do“ Methode hat das Clicker-Training sogar völlig versagt.
Wer mich kennt, kann sich sicherlich vorstellen, wie sehr mich diese Forschungsergebnisse freuen. Denn genau DAS ist es, was mir eine so überaus große Herzensangelegenheit ist, nämlich Hundebesitzer mit ihren Hunden durch Vertrauen und nicht durch Futterverteilung zusammenzubringen.
Eure Rückmeldung auf diesen Beitrag bestätigt es, wie sehr euch diese Thematik ans Herz geht. Deshalb…. bleibt dran, bleibt standhaft, vertraut euch, vertraut euren Hunden und verbreitet es weiter: Besitzer statt Würstchen!
Hilfsmittel in der Hundeerziehung
In einigen wenigen Mensch-Hund-Teams kann das Einsetzen eines Hilfsmittels notwendig werden, um die Körpersprache des Hundehalters, maximal kurzfristig, zu unterstützen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein Tierheimhund nie eine längerdauernde Rudel-Bindung erfahren hat. Genauso kann bei einer instabilen Mensch-Hund-Bindung das Angst-Verhalten eines Hundes, mittels Futter, als positiver Reiz dienen, um den angstauslösenden Stimulus zu überwinden.
Auch um ein Neu-Lernen zu ermöglichen, können z.B. akustische oder taktile Reize (keine Zwangs- oder Starkzwangsmittel) eingesetzt werden, um alte unerwünschte Verhaltensmuster „aufzubrechen“. Allerdings ist stets darauf zu achten, dass diese Hilfsmittel, wie der Name schon sagt, eine Hilfe darstellt, die kurzfristig den Ausdruck des Hundehalters verstärkt und sich somit unterstützend auf die Kommunikation zwischen Halter und Hund auswirkt. Dauerhaft eingesetzt verfehlen diese das Ziel bzw. verschlechtern die Situation im schlimmsten Fall für Halter und Hund.
Bei dem Einsetzen von Hilfsmitteln ist besonders darauf zu achten, dass keine unerwünschten Reiz-Reaktionen assoziiert werden. So ist z.B. das Benutzen von Wurfkette oder Disc-Scheiben genau abzuwägen, weil es zu häufig im Alltag als beiläufiges Geräusch auftaucht und schnell missverstanden werden kann, wenn z.B. der Nachbar mit seinen Schlüsselbund klimpert. Insgesamt betrachtet, muss das Einsetzen von Hilfsmitteln die letzte Wahl in der Hundeerziehung darstellen. In den meisten Mensch-Hund-Beziehungen ist eine rudimentäre Kommunikation von Hund zu Halter und umgekehrt vorhanden, worauf Vertrauen aufgebaut und somit die Bindung zueinander verstärkt werden kann.
Speziell für dieses Thema biete ich dir Trainingsmöglichkeiten an.
Es kann ein 2,5-tages Workshop gebucht werden. Dieser Workshop wird als Fortbildung von der TÄK NS und SH anerkannt.
Alternativ dazu, können einzelne Trainingseinheiten mit 90 Minuten gebucht werden.
Das Angebot ist gleichermaßen für Hundehalter, Hundetrainer und angehende Hundetrainer geeignet.