Stress beim Hund

Täglich erhalten wir eine Vielzahl von Aufgaben, die zu erfüllen sind. Sind die Aufgaben nicht oder nur unter größtem Kraftaufwand zu bewältigen, entsteht Stress. Stress ist eine biologische Reaktion auf die Anforderungen aus der Umwelt, d.h. es sind die physischen und psychischen Körperreaktionen zur Bewältigung besonders gesteigerter Anforderungen. Urzeitlich gesehen aktiviert Stress nützliche Funktionen im Körper, um auf bedrohliche Situationen extrem schnell reagieren zu können. Dies dient dem eigenen Schutz bei Gefahr und trägt zur Arterhaltung bei.

 

Stress als Chance nutzen

Stressfunktionen haben sich im Laufe der Evolution entwickelt, weil sie von Nutzen sind. Sie schützen Leib und Leben, sind arterhaltend und beugen Überforderung vor. Jedoch hat Stress noch eine andere Funktion. Und zwar wird unter Stress der Organismus für alternatives Verhalten aktiviert, er macht wach und regt dazu an neue Wege zu gehen. Umlernen, Neu-Erkunden und des Entwickeln neuer Strategien sind nur mit und unter Stress möglich. Der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther erklärt in seinen Veröffentlichungen sehr eindrucksvoll, wie Stress alte Nervenbahnen „aufweicht“, so dass es erst durch einen hohen Stresslevel möglich ist, neue Verknüpfungen im Gehirn zu bahnen. In diesem Sinne plädiere ich dafür, Stress nicht einzig negativ zu betrachten, sondern ihn in erster Linie als Chance zu nutzen.

Anhaltender positiver Stress (Eustress) kann genau so belastend geprägt sein wie negativer Stress (Distress), da die biologischen Abläufe und Reaktionen im Körper identisch sind. 

APORT Hundeschule 103

Hund und Stress

Durch die stark geänderten Lebensverhältnisse in unserer Gesellschaft, haben sich die Lebensbedingungen und die Aufgaben des Haushundes drastisch gewandelt. Der Hund, der seine Aufgaben zunehmend mehr als Familienmitglied, Partnerersatz, Spielfreund, Kindermädchen und damit zum Sozialpartner gestellt bekommt, muss sich mehr an die zivilisierten Bedingungen anpassen. Somit wird Stress durch Faktoren aus unserer zivilisierten Welt ausgelöst, denen der Hund nicht mehr mit seinen arteigenen Verhaltensweisen, wie Flucht oder Angriff, begegnen kann.

Arteigene Verhaltensweisen, die dem Hund Jahrtausende das Überleben gesichert haben, sind heute nicht mehr erwünscht. Besonders das Stadtleben stellt schwierige Bedingungen dar. Beispiele hiefür sind Autoverkehr, öffentliche Verkehrsmittel, Krach, beengte Wohnverhältnisse, Fahrstühle, Isolation, Leinenzwang u.s.w.; diese können einen Hund stark unter Stress stellen. Auf alle diese Vielzahl von unnatürlichen Bedingungen muss ein Hund in der heutigen Zeit lernen, sich zu recht zu finden. Um so wichtiger ist es und wird es in der Zukunft sein, unseren Hund auf diese neuartige “Lebensqualität” frühzeitig vorzubereiten. Denn nur der Hund, der gelernt hat, mit all diesen artfremden Lebensbedingungen fertig zu werden, wird ein stressfreies und glückliches Hundeleben führen.

 

Faktoren, die häufig vorkommen sind:

  • häufige Rangordnungsauseinandersetzungen
  • Mobbing
  • intensive Konzentration bei der Arbeit z. B. der Rettungshunde, der Servicehunde, Hunde im Polizeidienst
  • Lärm und andauernd starke Gerüche
  • Frustration 
  • Krankheit und Schmerzen 
  • Angst 
  • Isolation
  • Überforderung oder Unterforderung
  • positiver Stress z.B. übermäßige euphorische Aktivität eines Hund
  • Extremsport z.B. das dauerhafte Erbringen von Höchstleistung

Stress-Muster

Dabei gibt es wiederkehrende Muster bei der Stress-Entstehung. Stress wird nämlich hauptsächlich durch Überforderung oder Unterforderung ausgelöst. Eine mangelnde oder fehlende Umweltgewöhnung und falscher Umgang mit dem Tier sind Gründe dafür, dass ein Tier gestresst ist. Stress in der frühen Entwicklungsphase stellt ein Trauma dar und führt u.a. auch zu einer Schädigung des Hippocampus, welches dazu führt, dass die Stresshormone in Stresssituationen kaum noch reduziert werden. Die Folge ist, dass Stress leicht auslösbar ist und lange anhält, was wiederum zu einer weiteren Schädigung des Hippocampus führt. Ein Teufelskreis… 

Hat ein Hund Stress, erkennst du diesen immer an seinem Körperausdruck, genauer, an seinen Konfliktverhalten. 

 

Beispiele für solche Verhaltensweisen können sein:

  • plötzlichen starken Fellwechsel
  • spontaner Durchfall
  • sehr starkes Speicheln
  • anhaltendes Schreien
  • übermäßiges Kratzen, Schütteln u.a.
  • Ausfall von Komfortverhalten
  • anhaltendes Jaulen + Bellen
  • Autoaggression
  • Depression und Bourn-out

Die Stress-Phasen

Aber, was geschieht genau, wenn ein Individuum Stress hat? Im Folgenden erfährst du das 3 Phasen-Modell nach Hans Selye (1936), welches bis heute anerkannt ist.

Die Aktivierung zur Handlung ist Phase 1

Stress beginnt durch ein physiologisches Ungleichgewicht im Körper. Durch die Aktivierung des Sympathikus (vegetatives Nervensystem) und somit auch des Nebennierenmarks werden die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Sie schaffen die Bedingungen im Körper, um auf jene bedrohliche Situation aus der Umwelt zu reagieren. Dieser Ablauf erfolg automatisch, er ist nicht beeinflussbar. Die Folgen sind :

  • Verengung der Blutgefäße
  • gesteigerte Herzfrequenz
  • erhöhter Blutdruck und Blutzuckerspiegel
  • Erweiterung der Bronchien
  • Vergrößerung der Pupillen
  • Aufstellen der Haare

Somit verbessern sich die biologischen Funktionen , wie Muskeltätigkeit, Lungenfunktion (Atmung) und Sauerstoffgehalt im Gehirn, damit die in den Zellen gespeicherte Energie freigesetzt und eine energieaufwändige Extrem-Handlung erfolgen kann. Zeitgleich verringern sich biologischen Funktionen im Körper, die nicht zur Gefahrenabwehr benötigt werden, wie z.B. Verringerung des Speichelflusses, Verlangsamung der Magen-, Darm- und Blasentätigkeit und Zusammenziehen der Hautgefäße.

Erholungsphase und Abbau der produzierten Stoffe in Phase 2

Bei der Erholungsphase wird die körperliche Reaktion (die Handlungsbereitschaft) wieder eingestellt und die Hormonausschüttung gestoppt. Der Körper kehrt dann in den Ursprungszustand zurück, wenn die aktivierte und bereitgestellte Energie aufgebraucht wurde. Hiernach wird das physiologische Gleichgewicht wieder hergestellt, wenn die bedrohliche Situation vorbei bzw. als nicht gefährlich eingestuft wurde. Dabei ist die Unterstützung des Hundes durch seinen Menschen von großer Bedeutung, die zur Entspannung der Situation beiträgt. Kurzzeitiger Stress stellt keine gesundheitliche Gefährdung dar, weil eine Beendigung der Aktivierung zur Handlungsbereitschaft erfolgt.

Beispiel: Ein Hund begegnet einem Artgenossen und fühlt sich durch dessen Annäherung bedroht. Er sträubt seine Nackenhaare und bleibt stehen, um diesen zu beobachten, oder läuft in schnellen Schritten zu ihm hin, um ihn bewerten zu können. Nach kurzem beschnüffeln entspannt sich die Situation wieder. Der Hund kehrt in seinen Ausgangszustand zurück.

Phase 3 – Erschöpfungsphase, anhaltender Stress macht krank

Ist der Stresszustand (Alarm- oder Handlungsbereitschaft) langanhaltend, ist der Körper bemüht eine Gegenreaktion zu starten, um die Handlungsbereitschaft abzuschwächen. Dafür ist der Parasympathikus (wirkt beruhigend auf das vegetative Nervensystem) zuständig. Er sorgt unter anderem für ein Zusammenziehen der Bronchien, vermehrten Speichelfluss sowie für Anregung der Magen-, Darm-, und Blasentätigkeit. Allerdings bleibt bei anhaltender Belastung die Adrenalin-, Noradrenalin- und Cortisolausschüttung hoch. Durch die anhaltende Aktivierung der Stresshormone, kommt es zu sogenannten Energiebereitstellungsproblemen. Der Körper kann sein physiologisches  Gleichgewicht nicht wieder herstellen und die Möglichkeiten der Anpassung bzw. der Aktivierung zur Handlungsbereitschaft (und deren Abbau) geht verloren. Dadurch wird das Immunsystems geschwächt, die Fortpflanzungsorgane sowie die Schilddrüsenfunktion gestört und entzündliche Prozesse in Gang gesetzt. Langzeitfolgen und schwere Erkrankungen entstehen, wie:

  • Bluthochdruck (Hypertonie)
  • Herz-, Kreislauferkrankungen
  • Nierenerkrankungen (auch mit tödlichem Ausgang)
  • Stoffwechselstörungen
  • Allergien und Entzündungskrankheiten

Was du tun kannst

Der Umgang mit Stress wird ab dem 1. Lebenstag erlernt. Deshalb ist die Zeit der Aufzucht (i.d.R. beim Züchter) wirklich wichtig. Hier kannst du Einfluss nehmen, indem du mehrere Besuche aktiv gestaltest, bevor du deinen Hund dauerhaft zu dir holst. Besuch aktiv gestalten und auf zukünftige Veränderungen vorbereiten gilt natürlich auch für erwachsene Hunde aus dem Tierheim. Aktiv gestalten heißt z.B. das Auto kennenlernen, gemeinsam Spazieren gehen, den Hund füttern, gemeinsam Spielen u.s.w. Bei dir zuhause angekommen, kannst du deinen Hund/Welpen auf seine zukünftige Um-Welt vorbereiten. Indem du ihn täglich etwas Neues zeigst, er sich und seine Umwelt täglich erkunden darf, lernt dein Hund Stressresistenz. Selbstverständlich altersgerecht angepasst, wobei die Salamitaktik, indem du viele kleine Erkundungen mit deinem Hund machst, einem „großen“ Ausflug vorzuziehen ist. 

Stress beim HundDes weiteren ist für Stressreduktion Selbst-Sicherheits-Training und Training für Trittsicherheit für alle Altersgruppen der Hunde hervorragend dazu geeignet. Ebenso wie Beschäftigungen wirkt sich körperliche Auslastung stressmindernd aus. 

Ist dein Hund schon etwas älter, dann finde die Stressoren. Durch Desensibilisierung und Gegenkonditionierung kannst du viel in der Erziehung deines Hundes erreichen. Wie das fachlich korrekt geht? Dazu solltest du dich unbedingt bei einem Hundetrainer beraten lassen, denn auch hier kann vieles falsch gemacht werden.

Stressvermeidung

Auf keinen Fall ist Stressvermeidung zu empfehlen. Stattdessen sollte dein Hund erlernen bestimmte Situationen auszuhalten. Dein Hund muss diese Erfahrungen machen dürfen, dass bestimmte Situationen nicht gefährlich sind. Sukzessiv erlernt so dein Hund alternatives Verhalten. Aber Vorsicht! Der Grad zwischen Unter- und Überforderung ist sehr schmal. Wer hier nicht exakt arbeitet, erreicht u.U. eher eine Verstärkung der Zustände. Eine fachkundige Anleitung ist bei diesen Lernprozessen wirklich sehr wichtig! Deshalb lege ich dir ans Herz, hole dir Hilfe.

Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass täglicher Stress für deinen Hund als normal betrachtet werden kann. Stress-Situationen mit fremden Hundekontakten, Besuch zuhause oder ein Besuch beim Tierarzt gehört zum Alltag dazu. Solange dein Hund gut damit umgehen kann, besteht kein besonderer Handlungsbedarf. Ist allerdings der Stress zu hoch und hält über lange Zeit an, dann muss dem Tier geholfen werden.