Symbiose zwischen Mensch und Wolf

 

Oder wie Schutzbedürfnis die Domestikation vorangebracht haben könnte

Für ein Erklärungsmodel wie sich der Wolf zum Hund entwickeln konnte, wird in diesem Zusammenhang auch oft von einer Symbiose bei der Jagd gesprochen. Menschen und Wölfe teilten sich mit großer Wahrscheinlichkeit die gleichen Beutetiere. Allerdings ist es nur schwer vorstellbar, dass der Wolf bei seinem Nahrungserwerb auf Hilfe unserer Vorfahren abhängig war. Auch werden unsere Vorfahren den Wolf eher als Konkurrenten gesehen haben und er wurde sicher nicht bei der Jagd als Helfer mit einbezogen. Wie also soll eine Symbiose zwischen Mensch und Wolf stattgefunden haben? 

Die Überlegung, dass eine „symbiotische Jagd“ auf gemeinsame Feinde stattgefunden haben kann, halte ich nicht nur für berechtigt sondern auch für sehr realistisch. Demzufolge kann zu einem engeren Zusammenrücken von Wolf und Mensch letztendlich geführt haben, weil unsere Vorfahren ihr unmittelbares Umfeld von Feinden freigehalten haben. Denkbar ist, dass dieses für benachbarte Wölfe ein entscheidender Vorteil gewesen sein mag. Eine Symbiose dieser Art finden sich im Tierreich häufig.

Ein Blick in die Gegenwart

Wir Menschen sind auch heute bis auf das Äußerste darauf bedacht, unser Heim frei von jeglicher Störung zu halten. Ein jeder von uns möchte seinen Lebensraum beschützt sehen und legt großen Wert auf Ruhe und Frieden. Dieses Recht auf Unversehrtheit ist sogar gesetzlich verankert, so steht im Grundgesetzt Art. 13 Absatz 1 -Die Wohnung ist unverletzlich-. Dieses Schutzbedürfnis ist bei uns tief verankert. Ein geschütztes Heim ist eine elementare Grundlage für unser Überleben. So werden auch Eindringlinge harmloser Art vehement bekämpft und ungebetene Gäste werden rigoros bekämpft. Dabei ist es unabhängig davon ob diese tierischer oder pflanzlicher Natur sind. Selbst ein einzelner blühender Löwenzahn kann einen Gartenbesitzer in die Verzweiflung treiben.  

 

Der Wolf als Beute

Symbiose

Ein mongolischer Mann inspiziert seinen Steinadler (Aquila chrysaetos), bevor er an einem Adlerjagd-Wettbewerb im Norden der Mongolei teilnimmt, (Wikipedia, Autor NuclearApples)

Heute steht der Wolf am Ende der Nahrungskette. Dies war in prähistorischer Zeit anders. Dass der Wolf selbst Beute darstellt, hört sich zunächst befremdlich an. Jedoch ist es so, dass ein Steinadler in der Lage ist einen Wolf zu töten. Die Wolfsjagd wird seit Jahrtausenden in Zentralasien, der Mongolei, traditionell praktiziert. Zum Beutespektrum des heutigen Steinadlers gehören Säugetiere verschiedener Größen, wie z.B. Hase, Murmeltier und Raufußhuhn. Gebietsabhängig werden auch Füchse, Schakale und junge Paarhufer, wie Schafe, Ziegen, Antilopen und Hirsche, gejagt. Im Größenvergleich zwischen Jäger und Beute ist dies recht beachtlich. Steinadler hetzen auch paarweise größere Tiere zu Tode. Wenn Fuchs und Schakal zur Beute eines Adlers gehören, ist es nicht verwunderlich, dass der Wolf ebenfalls ins Beutespektrum von Greifvögeln zuzuordnen ist.

 

Der Mensch als Beute

Symbiose

Nach der Besiedlung Neuseelands Ende des 13. Jahrhunderts rotteten die Māori in wenigen Jahrzehnten den Riesen-Laufvogel Moa aus. (Rekonstruierte Jagdszene für eine Ausstellung 1906–7)

Auch der prähistorische Mensch musste die Gefahr aus dem Himmel befürchten. Bei meiner Recherche über gemeinsame Feinde von Wolf und Mensch bin ich auf den Giganten Haastadler aufmerksam geworden, der bis vor 700 Jahren auf Neuseeland gelebt hat. Der Haastadler war ein Greifvogel, der mit einer Spannweite von 3 Meter und 14 Kg Gewicht extrem groß war. Er erjagte zweibeinige flugunfähige Vögel, die sogenannten Moas, die bis 200 Kg schwer waren. Wegen der physiologischen Ähnlichkeit waren auch die Ureinwohner Neuseelands, die Maoris, Beute für diesen Adler. Von den Maori gefertigte Felszeichnungen belegen dies. 

Es wird vermutet, dass der Haastadler durch die Maoris ausgerottet wurde, indem zum Einen diese Tiere direkt getötet und zum anderen auch die Beute des Adlers (die Moas) bejagt wurden. Das führte dazu, dass dem Haastadler die Hauptnahrung fehlte. Dies sind Hinweise dafür, dass Greifvögel jagt auf Menschen machten und Menschen in der Lage waren, diese Gefahr zu beseitigen.

Ein weiterer Fund belegt, dass unsere frühesten Vorfahren Beute für Greifvögel waren. Bei ein in Afrika gefundenes Vormenschen-Fossil, der Schädel des sogenannten „Taung-Kindes„, entdeckten Paläoanthropologen, dass dieses durch einen Greifvogel getötet wurde. Diese Menschenaffen, die zu unseren Vorfahren zählen, haben zwar vor 2 Millionen Jahren gelebt, aber noch immer sind Adler und Affe Jäger und Gejagte. Eine Studie der Universität von Ohio belegen, dass Affen auch heute noch ins Beuteschema von heutigen Greifvögeln gehören. Demnach hat man in Adler-Nestern Affenknochen gefunden. Die Beschädigungen der Knochen sind vergleichbar mit denen des „Taung-Kindes“.

 

Schutz als Symbiose

Eiszeitliche Darstellung von Höhlenlöwen in der Chauvet-Höhle (Frankreich), das Alter ist auf ca. 36.000 Jahre

Es darf davon ausgegangen werden, dass vor langer Zeit die Feinde von Wolf und Mensch die Selben waren. Aber nicht nur Greifvögel waren die Feinde von Menschen und Wölfen. Bekannt ist, das unsere Vorfahren in der Lage waren auch andere sehr große Tiere zu erbeuten, die ihnen gefährlich wurden. Raubtiere wie Bären, Höhlenlöwe, Höhlenhyäne und Säbelzahnkatzen waren nicht nur Beute sondern auch gemeinsame Feinde von Mensch und Wolf.

So fanden Wissenschaftler in europäischen Höhlen, in denen Höhlenhyänen lebten, Verbiss-Spuren an Wolfsknochen. Diese Beweise, dass der Wolf Beute für Hyänen war stammt aus der Jungsteinzeit. Einer Zeit, in der unsere Vorfahren noch Jäger und Sammler waren und sich der Haushund noch nicht entwickelt hatte. Höhlenhyänen waren weit verbreitet und sie waren zugleich Nahrungskonkurrenten damaligen Menschen. Denn unsere Vorfahren, Wölfe und Hyänen teilten sich die gleichen Beutetiere, wie Wollhaarmammut, Wollnashorn, Wildpferd, Halbesel, Steppenbison, Steinbock, Gämse, Riesenhirsch, Rothirsch, Rentier und Vielfraß. Es liegt deshalb nahe, dass unsere Vorfahren, Hyänen massiv bejagt haben.

Youtube-Video Chauvet-Höhle 

Die Wissenschaft gibt fortlaufend neuere Kenntnisse

Weitere Fossilien belegen, dass Homotherium, eine Gattung der Säbelzahnkatzen, entgegen heutiger Großkatzen ein tagaktiver Jäger war. Dieser jagte große Pflanzenfresser auf offenen Landschaften. In Zusammenhang mit diesen Großkatzen fanden Wissenschaftler Überreste von junger Mammuts und etliche Exemplare des pleistozänen Wolfes Aenocyon dirus. Seit 2020 gibt es nun auch Beläge dafür, dass dieser urzeitliche Wolf auch in Eurasien gelebt haben könnte. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass auch Wölfe der Gattung Canis lupus ins Beuteschema der Großkatzen passte. Das alles war in einer Zeit, wo sich unsere Vorfahren ebenfalls auf Jagd befanden. 

Aber auch andere große Beutegreifer, wie beispielsweise der  Höhlenbär oder der Höhlenlöwe mussten sich ihr Leben mit anderen Spezies wie Menschen und Wolf teilen. Vor allem Letztgenannter, der gebietsabhängig ein sehr flexibles Nahrungsangebot nutze, waren ebenfalls Feind und Nahrungskonkurrent zugleich.

Ein sicheres Dorfleben als Symbiose

Symbiose

Eiszeitliche Tüpfelhyänen und Steppenlöwen im Kampf und Wettbewerb um Beute, Paläopopulationen spätpleistozäner Spitzenraubtiere in Europa von Cajus G. Diedrich et al., CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77728023

Zählt man alle Fakten zusammen, so besteht hypothetisch die Möglichkeit, dass der Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten, sein eigenes Territorium frei von Gefahren gehalten hat. Denkt man sich in die damalige Zeit hinein, ist letztendlich auch nichts anderes vorstellbar, es erscheint geradezu logisch. 

So bestand ein erheblicher Vorteil für die in Dorfnähe lebenden Wolfspopulationen und seinen Nachwuchs, indem der Wolf in menschlicher Nähe ein gewisses Maß an Schutz vor anderen Raubtieren hatte. Diesen entscheidenden Vorteil hatten andere Wolfspopulationen nicht, die ihren Lebensraum eben nicht in menschlicher Nähe hatten. Bekannt ist, dass nicht genutzte Fähigkeiten degenerieren. Die in menschlicher Nähe lebenden Wölfe veränderten sich genetisch, sie passten sich mit bestimmten Verhaltensweisen an und waren zu einem späteren Zeitpunkt auf menschliche Nähe sogar angewiesen. Die Geburtsstunde des Haushundes. 

Symbiose beinhaltet einen gegenseitigen hohen Nutzen 

Eine Symbiose muss für beide Parteien eine jeweils vorteilhafte Kosten-Nutzen-Rechnung beinhalten. Wobei der Nutzen einen deutlichen Prozentsatz für die Individuen haben muss. Natur geht so und nur so. 

Das frühe Erkennen, das gegenseitige Warnen und Beseitigen von Gefahren verbesserte so deutlich für beide Seiten, Mensch und Wolf, die Überlebenschancen. Ein zusätzlicher Nutzen für den Wolf ist denkbar, wenn die von Mensch erbeuteten riesigen Tiere zerlegt und ans Lager geschafft werden mussten. Dieses ist den Wölfen auf keinen Fall entgangen. Unumgänglich war dann das Handeln der Menschen, dass die Wölfe von der Beute mit gefüttert wurden, weil sie sonst nicht mehr abgelassen hätten. Ähnlich wie der Hyänen-Mann aus Harar in Äthiopien, der eine sehr alte Tradition pflegt. Dieser füttert regelmäßig wilde Hyänen aus der Hand, mit dem Ziel, seine Herde Ziegen vor jenen hungrigen Hyänen zu schützen.